Cape "oh Gott, nicht noch ein Berg" Brett

09.-10.12.12


Na also! Das miesepetrige Wetter der letzten 7-8 Tage, welches mich an die Lektüre meiner Bücher gebunden hatte, scheint überwunden, denn es locken herrliche Sonnenaufgänge, glitzerndes Meer und bezaubernde Strände. Da meine Zeit in Paihia aufgrund des Grimes-Konzertes in Auckland knapp wird, beschließe ich, die schon lange im Hinterkopf schwebende Exkursion zum sogenannten Cape Brett gleich am Sonntag, dem 9.12..12, dem Geburtstag meiner Omi, anzutreten.


Cape Brett ist einer der nördlichsten Zipfel Neuseelands ganz im Nordosten. Es führt nur eine Straße zum Anfang dieser Halbinsel, die von dort aus ca. 20 km lang ist und mit vielen wunderschönen Buchten besticht, die nur vom Boot aus besucht werden können. Am Ende des Capes befindet sich ein Leuchtturm (was sonst) und eine Hütte, die früher einmal eine alte Radarstation war und heute umfunktioniert wurde für wagemutige (man kann auch sagen: lebensmüde) Wanderer, die es in die Ferne zieht.



So auch mich: nach einem ausgelassenen Frühstück und einem frisch (und leicht) gepackten Rucksack mit ca 4 Litern Wasser mache ich mich auf die Wandersocken und steuere den von Paihia ca. 40 km entfernten Ort Rawhiti an, von wo aus mein hike beginnen sollte.
Der Startpunkt

Gegen 12.30 Uhr erreiche ich den Parkplatz, von dem aus der längste Weg zum Cape Brett beginnt. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlüpfe ich in meine Wanderausrüstung und beginne den Aufstieg. Das Lächeln sollte mir schnell vergehen, denn die erste kleine Enttäuschung stellte sich sofort ein: meine Kopfhörer haben einen Wackelkontakt! Was kanns schlimmeres geben? Genau! Nichts. Immerhin geht noch ein Ohr, ich hab also etwas Musik. Was solls, Zähne zusammenbeissen und durch. Der Weg ist mit ca. 8 Stunden ausgeschrieben, aus meinen bisherigen Erfahrungen der Zeitangaben war für mich klar, das ich sicher nicht mehr als 6 Stunden brauchen dürfte. Klingt nach einem gemütlichen Tagestrip, oder?


Die erste Bucht: hier ist eine alte Whaling Station, wo damals Wale gejagt und ausgenommen wurden.

Zumindest eines kann ich sagen: gemütlich war es nicht! Die Karten, die ich für dieses Gebiet hatte, besaßen kein Höhenprofil, weshalb ich schmerzlich an eigener Ferse feststellen musste, dass die Halbinsel durchzogen ist von kleineren inselartigen Erhebungen, die leicht auf 200-300 Meter ansteigen, um gleich darauf gleich wieder auf 50-100 Meter abzusinken.



Und das über den gesamten Weg. Das Unwissen ist ja manchmal ein Segen und so kämpfte ich mich mit halbem Grinsen durch den dichten Wald, der immer wieder die Sicht zu wunderschönen Inseln der Bay of Islands offenbarte. Atemberaubend! Glasklare, blau-grüne Buchten, Schiffe, die einsam dort ankern, phänomenale Cliffs, all das lässt die 20 km dahinschmelzen in einem einzigen Meer der Wonne.

Bay of Islands: einmal von einer anderen Seite
Doch nach und nach lässt die Faszination nach und die Erschöpfung übernimmt das Steuer meiner Füße. Nach gut 4 Stunden Wanderung und einem Blick auf die Karte stelle ich fest, dass die 8 Stunden durchaus realistisch sein könnten und das noch viele derbe Anstiege auf mich zu warten scheinen (jeder Inselbubbel steht für einen kräftigen Berg!). Zudem habe ich bis dahin noch niemanden getroffen, weshalb es in mir zu arbeiten begann, wie ich wohl den gleichen Weg tags darauf zurücklegen könne, ohne vor Erschöpfung umzufallen. Vielleicht bleibe ich einfach einen Tag länger in der Hütte, oder ich bestelle mir (für sehr viel Geld!) ein Wassertaxi, das mich vom Cape Brett abholt? Naja, der Weg ist das Ziel und ich musste erst einmal ankommen, dann könnte ich mir darüber Gedanken machen. Vielleicht treffe ich ja jemanden, der selbst mit dem Schiff dort ist und mich ein Stück mit zurücknehmen kann. Ich gab die Überlegungen auf, auch wenn sie auf einer tieferen Ebene noch lange an mir werkeln sollten und begann meinen gefühlt hundertsten steilen Abstieg, der mir wie ein Brennglas verdeutlichte, das ich auf dem Rückweg dann auch wieder Bergauf laufen muss.

Atemberaubende Steilküsten und riesige Wellen begleiten den Pfad


Da ich schon in Deutschland viel gewandert und Fahrrad gefahren bin, verlasse ich mich auf meine Kondition und Erfahrung. Ich dringe also immer weiter vor und warte schon gespannt darauf, den letzten Zipfel der Halbinsel endlich durch die Baumwipfel zu erkennen, doch es sollte noch viel Zeit vergehen und vor allem allerhand Schimpfwörter erklingen, bevor ich ihn endlich sehen sollte. Wenn man so lange unterwegs ist und sich so einer Anstrengung hingibt, fängt man auch gelegentlich an, mit sich selbst zu reden. Ich war schon etwas besorgt, schob es aber auf meinen kaputten Kopfhörer. Motiviert von meiner lauten Flucherei war es endlich soweit:

Es sieht nicht nur hügelig aus. Es IST hügelig. Doch das Ende naht.



nach einem steilen Anstieg eröffnete sich das letzte Stück Halbinsel und das Schild (von insgesamt gerade mal 3!), welches besagt, das Cape Brett direkt vor mir liegt. Nur noch 2,5 Stunden! WHATTTT?!!?!?! An diesem Punkt müsst ihr euch eine ca. 3 Meter lange Zunge vorstellen, die sich blitzartig ausrollt und nicht mehr zurück kommt. Mittlerweile war es ca 17.30 Uhr und ich war so erschöpft wie noch nie. Meine Beine waren schwer wie Blei, der Rucksack, den ich um gut 2 Liter Wasser erleichtert hatte, wog gefühlte tausend Kilogramm und meine Füße füllten jede Ecke der (wirklich tollen) Wanderschuhe aus.

Nun denn, als Optimist sagte ich zu mir selbst, dass es sicher nur anderthalb Stunden sein werden und ich hab immerhin schon Dreiviertel des Weges hinter mir. Wie schwer kann es denn sonst noch werden?

Oh und es KANN noch schlimmer werden, wie sich nach ein paar Minuten Wanderei herausstellen sollte. Denn der Anstieg zum letzten, finalen Part stellte sich als der Herausforderndste dar.

Verdammt, ich habe meine Hufe vergessen!

Selbst das Schild von Cape Brett ist total erschöpft!

Entlang an steilen Klippen ging ein offensichtlich nur für erfahrene Djerba-Bergziegen begehbarer Pfad, der noch einmal alle Kraft abverlangen sollte. Und endlich: da ist er, der höchste Punkt der gesamten Reise dieses Tages:

Dafür hat es sich doch gelohnt, oder?

von der Spitze aus entfaltet sich das Bild einer wirklichen Oase, der Leuchtturm, umgeben von Klippen, unter dessen Blick sich eine kleine Hütte entfaltet. DIE HÜTTE!

Enklave der Hoffnung

Mit berauschender Geschwindigkeit flitzte ich am blöden Leuchtturm vorbei und wuselte im Zickzackkurs zur Hütte, in der Hoffnung, eine Dusche und ein gemütliches Bett zu finden. Noch bevor ich in die Hütte eintrat, sah ich bereits jemanden darin herumlaufen. Oh! Wer würde es sein? Ein Maori? Ein anderer Wanderer? Jemand, der dort eingebrochen ist oder jemand, der Zuflucht sucht?

Die Gasflaschen sind nur Dekoration!

Erschöpft aber neugierig öffnete ich gegen 19.00 Uhr die Tür, um dort Nicolette, eine hübsche Holländerin vorzufinden, die sichtlich erschöpft in ihrem Schlafsack nach Ruhe dürstete. Überrascht und erschrocken, das auf einmal noch jemand da ist, machten wir uns kurz bekannt und erzählten über die Anstrengungen des Tages und dem Problem, dass das Gas und somit das Abkochen des Wassers nicht funktioniere. Zum Glück hatte ich meinen Gaskocher mit und konnte ihr etwas warmes zu Essen und abgekochtes Wasser anbieten

Der Blick aus der Hütte
Nicolette schmachtet dem Sonnenuntergang entgegen.
Ich überzeugte sie, gemeinsam zum Sonnenuntergang noch einmal rauszugehen und wir tauschten uns Geschichten und Erfahrungen des Hikes und unseres Neuseelandaufenthaltes aus. In einem vorübergehenden Anflug von Wahn erzählte ich ihr, das ich sogar damit angefangen hatte, Selbstgespräche zu führen, als es mir durch den Kopf schoss: "Wieso erzählst du einer Frau, mit der du in Kürze zusammen in einer einsamen Hütte am Ende der Welt die Nacht verbringen wirst, das du Selbstgespräche führst?" Ich gab mir eine mentale Ohrfeige, als sie anfing, laut loszulachen und mir das Selbe berichtete… Puh! Damit war es besiegelt, es sollte ein sympathischer Abend mit einem fantastischen Sonnenuntergang und interessanten Gesprächen werden, der mit einem unfassbar klaren Sternenhimmel unter dem Fuße des Leuchtturms abgerundet werden und unsere Herzen wärmen und unsere schmerzenden Füße vergessen machen sollte.

Sonnenuntergang über der Bay of Islands
Ohne Worte

Die ersten Sterne des Abends
Der Leuchtturm eingebettet in einem Meer aus Sternen.
Die Anstrengungen wurden abschließend wurde belohnt mit einem Bett am Fenster, das die sternenklare Nacht preis gab und die Seele mit unzähligen Sternenschnuppen erfüllen sollte.

Mein Blick aus dem Fenster

uuuund: das Fenster

Leider war die Nacht sehr kurz und unruhig, denn die Knochen ächzten und liesen die zurückgelegten Kilometer nicht ganz vergessen. So war ich bereits zum Sonnenaufgang wieder wach und wie verabredet weckte ich Nicolette, um gemeinsam zur anderen Seite zu gehen um ihn dort zu betrachten. Berauschend! An wie vielen Orten kann man den Sonnenauf- wie untergang am Meer schon betrachten?

Guten Morgen!
Vögel im Sonnenaufgang: ein Schnappschuss!






Nachdem die Hütte und das umliegende Gras im Gold des Morgenlichts überflutet wurde, begannen wir gemeinsam zu frühstücken und machten uns für die Rückreise fertig. Mit großer Wehmut aufgrund der Schönheit dieses Fleckchen Erde begannen wir den Aufstieg.

Ein Gänseblümchenpfad begleitet uns die ersten Meter
Endlich doch noch ein Foto vom Leuchtturm
Noch lächelt sie!
Die Anstrengungen des letzten Tages waren (fast) vergessen und da wir beschlossen, zusammen zurückzuwandern, war die Mühe nun nur noch geteiltes Leid. Das heißt nicht, das wir nicht geflucht haben: im Gegenteil. Ich habe ein paar neue holländische Schimpfwörter kennengelernt, ein paar englische erfunden und so manches mal gab es entsetzliche Enttäuschungsausschreitungen, wenn sich mal wieder ein neuer Berg vor uns aufbegehrte und uns die physikalischen Belastbarkeitsgrenzen unserer Füße vergegenwärtigte. Ich beschloss, mich dem Wanderweg, den Nicolette gegangen ist, anzuschließen, da sie mich von ihrem Startpunkt aus mit ihrem Auto ein Stück mitnehmen könnte. So sah ich mehr von der gesamten Route und würde 3-4 km sparen. Zudem schwärmte sie von einem wunderschönen Strand, den ich unbedingt sehen müsse.



Nachdem wir gegen 14 Uhr (wir begannen gegen 7.30 Uhr unseren Aufstieg) beinahe am Ziel waren, sah ich aus dem Augenwinkel heraus vor uns auf einmal etwas seltsam dunkles. War es ein Hund? Oder ein umgeknickter Baumstamm? NEIN! Es war eine Wildschweinmutter mit ihren Jungen. Ich blieb stehen, weiß ich doch um die Gefahr, die eine besorgte Tiermutter ausstrahlt. Sie fauchte mich an, ich fauchte zurück und die Familie begann, sich in einen langsamen Trapp zu begeben, um den Pfad zu verlassen. Piuuhh. Ein bisschen aufgeregt (ich wusste gar nicht, dass es dort Wildschweine gibt!) machten wir uns zum finalen Abstieg, nur, um noch einmal komplett aus den Socken gehauen zu werden.

Nicolette freut sich, da sie das Ende wiedererkennt.
Tatsächlich: vor meinen Augen tat sich der schönste Strand auf, an dem ich je gewesen bin. In einem verdeckten Plätzchen gab es eine Bucht, die durch eine Insel vom Meer aus verdeckt wird, die nur darauf wartete, entdeckt zu werden.









Ich schlüpfte aus meinen Klamotten und sprang sofort in die Wellen, die unfassbar warm waren. Das frische, glasklare Wasser nahm mich freundlich auf und spendete mir den so innig herbeigesehnten Frieden. Was gibt es schöneres, als nach einer langen Wanderung ins (gar nicht so) kühle Nass zu springen in der wohl schönsten Bucht, die die Welt je gesehen hat?


Nach dieser Endorphin-Einlage begaben wir uns zu Nicolettes Auto, sie setzte mich ab und mit einer herzlichen Verabschiedung fuhren wir in unterschiedliche Richtungen. Auf der Rückfahrt im Auto gingen mir all die unfassbaren Momente noch einmal durch den Kopf: wann erlebt man schon so viele unfassbar schöne Augenblicke? Neuseeland ist der Ort, nach dem es mir all die Jahre gedürstet hat. Wie Bob Dylan schon einst sagte: "I was born very far from where I'm meant to be. So I'm on my way home."






Ich glaube, ich bin zu Hause angekommen.

Kommentare

  1. Sooooo schöne Fotos!
    Aber vor allem der Sonnenuntergang, da werd ich hier ja neidisch. Bist endlich im Auenland angekommen? :P

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    1. Vielen Dank. Könnte man so sagen, obwohl das Auenland etwas südlicher liegt. Aber da komme ich sicher noch vorbei :D

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  2. Was für wunderschöne Landschaften! Die Fotos sind klasse. Man bekommt einen wirklich tollen Eindruck von deinem Abenteuer. Und das mit den Selbstgesprächen ist ja noch mal gut gegangen. ;--) *hihi*

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    1. Ich hoffe ich schreib nicht zu lang. Im Endeffekt schreib ich eher für mich und fasse noch einmal all die Erlebnisse zusammen, ich glaube, das ist nicht für jedermann :D Vielen Dank jedenfalls! :)

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