"... und was willst du mal werden?"

Ein paar Gedanken, die sich während meiner Reise ergeben haben und mich ein wenig umtreiben.

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Das deutsche Schulsystem schafft sich nach und nach Probleme in seinen Bemühungen, möglichst viele Schülerinnen und Schüler einmal auf die Universität zu schicken. Bei meiner Reise (und meinen ehemaligen beruflichen Ausführungen) habe ich beobachtet, das ein Großteil der deutschen Backpacker gerade einmal 18-20 Jahre alt sind. Damit stellen sie im Vergleich zu anderen Reisenden eine besondere Ausnahme dar, denn in der Regel sind sie meist 25-27 Jahre alt. Bei unseren Gesprächen hat sich dabei herausgestellt, dass beinahe alle Deutschen mit dem gleichen Problem ringen: "Was werde ich einmal machen?". Was anscheinend wiederum gleichbedeutend mit "Was werde ich einmal studieren?" ist, da sich beinahe alle, die hier reisen, gerade vom Gymnasium für ein Jahr ins Ausland begeben haben und ein Studium planen. Die Idee, eine Ausbildung zu machen, wurde dabei recht früh ausgeschlossen, da alle den Drang verspüren, möglichst "viele Optionen offen zu halten", wenn sie dann einmal fertig sind. Man möchte sich bloß nicht früh schon festlegen müssen, was man für den Rest seines Lebens anstellen muss. 

Und ich glaube, das sich hier der Knackpunkt befindet, der sich anscheinend besonders, vielleicht fast ausschließlich in Deutschland abspielt. Es herrscht (wie schon zu meiner Schulzeit) ein subtiles Diktat der Profession. Hat man sich einmal durchgerungen und festgelegt, scheint es kein zurück zu geben. Eltern, Lehrende, Arbeitende, sie alle vermitteln einem den Weg einer Einbahnstraße. Hat man einmal etwas erlernt, Jahre in eine Ausbildung "investiert", wäre es eine "Verschwendung", sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Selbst meine beinahe einjährige Auszeit wurde nicht selten schräg beäugelt, entziehe ich mich doch damit eines gewissen Lebenslaufideals, welches den meisten von uns mehr oder weniger unbewusst eingeschrieben wird. 

Interessanterweise finden sich diese Gedanken vorwiegend in Deutschland. Viellicht liegt es daran, das Reisende anderer Länder bereits älter sind und diese Entscheidungen für sich schon lange getroffen haben, doch in meinen Unterhaltungen stellte sich heraus, dass sie eigentlich gar kein Problem mit der Idee haben, einfach etwas anderes zu lernen, sollte sich die aktuelle Berufswahl als ein Fehler herausstellen. Für deutsche Verhältnisse fast undenkbar (von dem drastischen Wechsel im höheren Alter einmal abgesehen. Dieser vollzieht sich jedoch selten unproblematisch). 

In Neuseeland ist es z.B. so, dass man sich, wenn man eine neue Profession erlernt, man ca. eine Einarbeitungszeit oder einen Ausbildungskurs von ca. 2 Wochen hat und dann einfach loslegen kann. Egal als was. Koch, Bootsmann usw. Natürlich gibt es hie und da einige spezifische Einführungen und Extrakurse. Aber im Großen und Ganzen kann sich jeder in allem probieren, wenn er Interesse daran hat, ohne drei Jahre seines Lebens aufbringen zu müssen. 
Damit einher geht eine gewisse Unterqualifiziertheit, nicht alles bewegt sich auf dem professionalisierten Niveau "deutscher Arbeit". Da fehlen einmal qualifizierte Klempner oder Elektriker, ausgebildete Architekten sucht man vergeblich, dabei bedarf Christchurch doch jeder Hand. Doch gerade Neuseeland beweist, dass es das mit Sicherheit nicht im geringsten braucht. Es funktioniert in einem mehr als angenehmen Sinne, jeder ist fröhlich und zuvorkommend und wenn mal etwas schief geht, bemüht man sich eben es gut zu machen und jeder ist nachsichtig. "Shit happens!" 

Letztendlich changiert man zwischen Neuseeland und Deutschland immer im Verhältnis von Freiheit vs. Abgesichertheit. Man versucht krampfhaft, alles gesetzlich und bürokratisch zu regulieren, um für mögliche Eventualitäten eines Unfalls gerüstet zu sein, was die Gedanken aber letztendlich einschränkt, statt ihnen einen Nährboden für die eigene Entfaltung zu bieten. Man gibt die Verantwortung über das Selbst ab an den "Staat" und wird nach und nach immer unmündiger. Natürlich kann man mit dem Argument kontern, dass Neuseeland kleiner und überschaubarer ist, gleichzeitig kann man aber auch hinterfragen, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben, in der alles "das Beste und Schönste" von allem sein muss, besonders gesichert durch Verträge und Abkommen (wenn etwas nicht funktioniert bekomme ich doch bitte schön ein neues Gerät statt es einfach reparieren zu lassen). 
Sei es beim Kauf von Technik, unserem Urlaub oder eben auch der Arbeit. All das ist ein Leistungsdiktat, ein Ellenbogendenken, das wir unseren Kindern vererben und damit einen unglücklichen Standard auferlegen, der im Bauch der jobsuchenden Jugend grummelt und ihr keine Ruhe lässt. 

Folgen sind, wie sicher mehrfach in anderen Untersuchungen schon längst diagnostiziert: Existenzängste, Überarbeitungserscheinungen, Klassengesellschaften (geht mein Kind auf das Gymnasium oder die Haupt-/Realschule) und die Entwicklung hin zu einer Beschleunigungsgesellschaft. Und natürlich der Unlust, Nachwuchs entstehen zu lassen, denn ich kann ja erst Kinder zeugen, wenn ich ein sicheres Einkommen habe und mein Leben noch schnell gelebt habe, bevor "der Ernst des Lebens beginnt", was wiederum zum demographischen Abhang führt, auf den wir derzeit zusteuern bzw. uns schon längst eingegraben haben. 

Damit möchte ich nicht behaupten, dass der einzige Auslöser eben jener Gedanke der Qualifizierung bzw. unser Schulsystem ist, es zeigt jedoch, wie dieser eiserne, drakonische Optimierungsdrang sich immer weiter in die Köpfe frisst und dabei einen gänzlichen Punkt nach und nach ausklammert, für den ich Neuseeland so liebe: die Gemeinschaft. Das Handeln des Einzelnen in einem Kollektiv, welches in einem emphatischen Miteinander agiert und für jedes Individuum die Arme offen hält. Das klingt natürlich paradiesisch und ich habe Vermutungen, dass dieser gemeinsame Umgang nicht gänzlich uneigennützig ist, schließlich beruht das Einkommen Neuseelands zu einem exorbitanten Teil auf Tourismus, jedoch ist die Gelassenheit der Kiwis berühmt berüchtigt und ist ein ausschlaggebendes Moment der gemeinsamen Herzlichkeit, von dem die Deutschen sich Lichtjahre weit entfernt haben, wenn sie überhaupt jemals vorhanden war. 

Hier können wir uns eine Scheibe abschneiden und anscheinend machen sie das auch. Denn die unglaubliche Zahl der vielen Deutschen (angeblich wurden 2012 ca 1.2 Millionen deutsche Visa für Neuseeland ausgestellt!) die hier herreisen, haben gar keine andere Wahl als sich diesem laissez faire hinzugeben und auf sich wirken zu lassen. Hoffentlich dient es als Inspiration, auch wenn ich oft den Eindruck habe, dass man diesen Umstand als gegeben hinnimmt und gar nicht hinterfragt. Dabei ist es so einfach, die eigene Gesellschaft umzukrempeln, schließlich sind WIR irgendwann einmal die Eltern.

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Kommentare

  1. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Erfolg alles ist. Und dieser Erfolg ist sehr eng definiert. Dazu gehört zum Beispiel das Abitur und ein Studium. Egal, ob das überhaupt etwas für einen ist oder nicht. Egal wie beschissen der Abschluss ist und wie gut überhaupt die Berufschancen sind.
    Unser Umfeld und wir selbst schieben unser Leben in vorgefertigte Bahnen, die akzeptiert werden und als Erfolgsversprechend gelten. Dabei denken wir wenig an uns selbst und was wir wirklich wollen. Das macht natürlich unglücklich.

    Ich glaube, wir können von vielen Ländern etwas lernen. Zum Beispiel Gelassenheit und die Akzeptanz, dass wir kein vordefiniertes "perfektes Leben" brauchen, um glücklich zu sein. Ich hoffe, dass die vielen jungen Menschen, denen du auf deiner Reise begegnest, das auch noch erkennen werden. :-)

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