Platonische Liebe

Wieso fühle ich mich nicht traurig?



(Marc McGuire - Brothers (for Matt) )

Die letzten vier Monate waren ein Tanz auf dem Vulkan. Es galt, immer auf Abruf zu leben, beinahe durchgängig zwanzig rotierende Aufgaben zeitgleich zu bearbeiten, der Mensch für alles zu sein, unzählige Überstunden zu schieben und dabei noch gute Laune zu versprühen! Vier Monate lang war ich an vier Wochenenden, die jeweils vorbereitet werden mussten, der care bear für dreizehn jugendliche Menschen: ich durfte sie in einer Ausbildung begleiten, unterstützen, ihnen Rückmeldung geben, die Welt erklären, mit ihnen lachen, weinen, meckern und sie aufbauen. Ihnen in ihren ersten eigenen Seminaren den Rücken stärken, über ihre engsten Probleme reden und einfach nur für sie da sein.

Und auf einmal ist alles vorbei: ich fühlte für einen kurzen Moment eine unfassbare Schwermut über mich hineinbrechen, wie ein Gewitter, dass sich über den Berg hieft und sich dann in das seelische Tal sacken lässt, um seine düstere Nässe zu verbreiten. Ich weiß, dass ich den Weg dieser dreizehn Menschen für einen kleinen Teil ihres Lebens begleitet habe und das sie jetzt eine ganz neue Route einschlagen werden, mit einem neuen Selbstvertrauen, neuer Kraft, neuen Eindrücken und neuem Vertrauen in die Menschen, und ich wede diese Gruppe in dieser Form nie wieder sehen.

Und doch geht es mir gut? Wieso?

Wie schon der alte Platon hat auch mich dieses erhabene Gefühl erfasst, welches entsteht wenn man weiß, dass man in dreizehn Köpfen jeweils Zöglinge für einen toleranten Umgang gesät hat, der sich fort zieht und einmal andere Menschen inspirieren wird, wie einst ich inspiriert wurde. Ich habe eine so wunderschöne Metamorphose miterlebt, die mir enorme Hoffnung gibt auf ein besseres Morgen, auf einen besseren Menschen.
In wirklich jedem dieser dreizehn sehr unterschiedlichen Menschen kamen kreative Ideen zu Tage, Gedanken, die ich mir nie habe erträumen lassen. Ich bin verliebt in jeden einzelnen dieser Personen und ein Gefühl von Glück überwältigt mich, denn zu wissen, dass ich ein Teil dieser Gemeinschaft bin, ein Wegbereiter und ein Bestandteil dieser (noch sehr kleinen) Kultur, lässt dieses Gewitter der Trübseeligkeit sofort zum lauen Frühlingsschauer werden, der für saftige Gräser und dem Erblühen der Landschaft sorgt.

Und auch wenn ich diese Menschen so nie wiedersehen werde, uns eint nun ein Band der Freundschaft und Liebe, dass ich selten, ja, eigentlich noch nie so erfahren habe. Es ist eine familiäre Nähe, das Verlassen können auf die Anderen, das Denken des Gleichen von dreizehn Personen, das "Sich fallen lassen" in eine Gruppe und das Wissen darum, das man wohlbehütet aufkommen wird. Vier Wochenenden lang sind unsere Köpfe und unser Geist zusammengewachsen zu einem Ganzen, zu etwas größerem als alles, was mir vorher widerfahren ist.

Wie kann man da unglücklich werden?

Kommentare

  1. Ich weiß zwar nicht, was du genau gemacht hast, aber ich glaube, mit deiner Einstellung würdest du ein guter Lehrer werden. :-)

    Vor Kurzem habe ich auf einer Abschlussveranstaltung von einem Dozenten gehört, dass er seine Studenten als "seine Kinder" ansehen würde. Er verbringt mit ihnen Zeit, lernt und lehrt, lacht und ärgert sich mit ihnen und am Ende entlässt er sie in eine Welt, auf die er sie versucht hat, so gut wie möglich vorzubereiten. Irgendwie kommt das dem, was du gemacht hast doch sehr nahe. ;-)

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  2. :) Ja, irgendwie fühlt es sich ein bisschen so an, und es tut total gut. Bei jungen Menschen hat man oft noch das Gefühl, dass sie WISSEN, das man noch nicht fertig ist mit dem, was sie über die Welt lernen werden. Man kann gemeinsam an neuen Positionen arbeiten, ohne gleich alles hinzuwerfen oder zu behaupten, alles sei sinnlos oder irrelevant. Ich glaube, das tut ziemlich gut. Außerdem wissen sie Sachen oft viel besser wert zu schätzen als ältere, die Gesten als selbstverständlich betrachten.

    Und Lehrer zu sein ist in sofern echt schwierig, weil man schon in einem unglaublich eingeengten System agieren muss. Da gibts genaue Vorstellungen von dem, was ankommen muss und was irgendwie funktionieren muss. Für Experimente wie die, die ich mir an den Wochenenden mit freiwilligen Jugendlichen durchführe, ist da kaum Platz. Vielleicht als Sozialpädagoge oder so.

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