Terrence Malick - Ein Liebesbrief an das Leben



Awestruck. Ehrfurcht, dass ist wohl das passende deutsche Wort, auch wenn es noch nicht ganz das überwältigende Gefühl wiedergibt, welches ich erfahre, wenn ich an Voyage of Time denke. Gelähmt vor überwältigender Freude, Lebenslust und Leidenschaft trifft es wohl am ehesten und genau das passiert mir jedes Mal, wenn ich einen Film von Terrence Malick anschaue. Mir fällt eigentlich kein anderer Regisseur ein, der es schafft, dieses unfassbare Gefühl der Wahrheit im Moment so treffend einzufangen. Jeder, der schon einmal verliebt war, mit seiner/m Liebsten von Angesicht zu Angesicht gegenüber lag und sich in den Augen des/r Anderen verloren hat und die Gedanken dabei immer weiter schweifen lies, weiß, wovon ich rede. Wie kann etwas so Wunderschönes und Komplexes wie das Auge existieren, dieses Wunderwerk der Natur, das uns die Welt erfahren lässt in all seiner Vielfältigkeit. Dieses Zusammenspiel von Präzision, organischer Abhängigkeit und Mechanismen, die wir nur ansatzweise verstehen. Dieses Auge steht symbolisch für die komplexen Zusammenhänge der Natur, die wir mit unendlich vielen Büchern rational zu erklären versuchen und uns doch jedes Mal wieder darüber wundern lassen, wie sie uns zu dem werden ließen, was wir sind.

Terrence Malick zelebriert dieses Zusammenspiel, diese Ehrfurcht vor dem Leben und dieses Dasein in dieser Natur. Er überführt sie in poetische Gedanken und Bilder und eignet sich damit das Medium Film so an, um die Zuschauenden mitzunehmen in eine Welt voller Staunen. In einen riesigen Nexus von Assoziationen voller Erinnerungen, der Schönheit im Moment und auch der Vergänglichkeit. Der Liebe, der Berührungen und Zuneigung, der Angst vor dem Ende und dem Zelebrieren des Glücks. In einem Bildrausch und poetischen Gedanken lässt er uns Sehnsucht erfahren, verbringt mit uns verträumte Momente die sonst nur der Intimität von Liebenden oder FreundInnen zugänglich sind und beflügelt unsere Gedanken mit Lebenslust und Glückseligkeit.

Terrence Malick ist wohl der eigenwilligste Regisseur unserer Zeit, seine Filme funktionieren nicht immer, es ist nötig, dass man sich in einer gewissen Stimmung befindet um ihm und seinen Bildern (häufig hervorragend eingefangen durch Emmanuel Lubezki, der sich unter anderem mit The Revenant, Birdman oder Children of Men schon längst in die Annalen der Filmgeschichte eingeschrieben und mit Malick eine Spielwiese für sein Talent gefunden hat) folgen zu können und nicht immer sind die philosophischen oder poetischen Referenzen zugänglich und verwehren somit den Zugang zu seinem Werk. Doch wenn man sich die Mühe macht, sich damit auseinanderzusetzen, erkennt man, was für eine zarte Seele und großes Talent sich hinter dem Namen Malick versteckt. Ein Mann, der so schüchtern ist, dass es kaum Interviews und Bilder mit ihm gibt. Seine Art, Filme zu machen ist so einzigartig wie ungewöhnlich, minutenlang kreist die Kamera durch die Charaktere, bedeutungsschwangere Gedankenfragmente und visuelle Eindrücke reichen sich die Hand, unzählige DarstellerInnen sind schon dem Schnittraum zum Opfer gefallen, weil sein Film sich immer und immer wieder verändert hat.Von 8 Stunden Cuts ist die Rede bei Song to Song, einem Film über die Musikindustrie, die aber herzlich wenig mit dem Film zu tun hat. Viel eher geht es um die Form, sich von Lied zu Lied zu hangeln und sich den variierenden Emotionen hinzugeben, die verbundenen Erinnerungen der Songs leben in diesem Film auf und zeigen, wie sich die Charaktere (Ryan Gossling, Rooney Mara, Michael Fassbender und Natalie Portman) im Moment verlieren. Im Glück, in der Liebe, in der Angst, in der Sorge.
Malicks Filme wirken nicht selten irritierend oder verloren, denn sie leben von der Vorstellungskraft, sie korrespondieren mit den eigenen Erinnerungen, den eigenen Reflexionen über das Leben. Spricht der Film nicht zum Zuschauenden, dann weil er sich nicht in die Gedankenwelt, mit der Malick immer wieder auf Konfrontationskurs geht, einfühlen kann. Das kann total anstrengend sein, aber wenn man sich den Assoziationen frei hingibt, erfährt man ein unfassbares Gefühl von Freiheit und Erhabenheit.

Mit Voyage of Time, der leider 2016 gänzlich in den Kinos unterging, hat Malick nun einem 40 jährigen Projekt und seinem gesamten Schaffen ein Denkmal gesetzt, das alles bisher gezeigte noch einmal überflügelt.
Nichts anderes als die Dokumentation über die Entstehung der Erde und des Lebens wird hier in 40 (IMAX-Cut mit Brad Pitt als Erzähler) bzw. 90 Minuten (regulärer Kino-Schnitt mit Cate Blanchett als Erzählerin) zelebriert. Dabei kommen viele experimentelle Filmtechniken ins Spiel, um die chemischen und biologischen Prozesse zu visualisieren. Untermalt mit klassischer Musik sehen wir, wie die ersten Lebewesen entstehen, wie die Erde Leben erblühen lässt begleitet von den poetischen Reflexionen der Erzählenden. Malick hangelt sich dabei an den wissenschaftlichen Erkenntnissen entlang, ohne sich darin zu verlieren und statt trockener Wissenschaft erzählt er Poesie. Es ist eine pure Wonne, diese Bilder in all ihrer Wucht zuzuschauen und man kann seine Augen kaum abwenden. Der Film ist die Verlängerung des Abschnittes aus Tree of Life, in dem Malick schon einmal einen Bogen macht und von der Familie als Kern des Lebens abschweift um die Entstehung eben jenes darzustellen. Und was dort noch als ein wilder Ritt einigen Zuschauenden schwer im Magen lag (ich habe es geliebt!), wird hier in seiner Vollendung ausgeführt. 40 Jahre lang hat er dabei Sonnenuntergänge, Vulkanausbrüche, Unterwasserleben aber auch kulturelle Bräuche und Rituale gefilmt und dabei einen Film geschaffen, der wieder wundern lässt, der uns den routinierten Arbeitsalltag in den Kontext der Evolution stellt und dabei wichtige Fragen aufwirft. Soll es das gewesen sein? All diese Wunder für so eine öde Routine? All die zwischenmenschlichen Befindlichkeiten die sich in gegenseitiger Verachtung und Missgunst entladen sind das Ergebnis aus diesen unglaublichen Prozessen des Zufalls? Die Antworten kann jeder selbst finden, für mich ist es ein Plädoyer, Sachen leichter zu nehmen und sich auch der Leichtigkeit unseres Lebens hinzugeben.

Malick ist visueller Philosoph und Poet und Voyage of Time ist sein Hauptwerk. Er drückt das aus, was mich schon immer umtreibt, seid ich Der Schmale Grat 1998 oder 1999 im Kino geschaut habe. Von dem Moment an, als James Caviezel zu Beginn über die Abscheulichkeiten des Krieges und die Schönheit des Lebens philosophierte, wusste ich, das Terrence Malick ein Bruder im Geiste ist und zum ersten Mal fühlte ich mich verstanden und nicht mehr allein. Rückblickend betrachtet weckte es wohl mein Interesse an Philosophie und beflügelte mich, das auch zu studieren. Seit dem Kinobesuch begleitet er mich durch mein Leben, er regt mich zu neuen Ideen an, lässt mich im Hier und Jetzt leben. Und auch jetzt, fast 20 Jahre danach, bin ich awestruck. Glückseligkeit durchflutet mich und ich möchte dieses Gefühl mit der Welt teilen. Danke.






Ein kleiner Nachtrag (2020): hier findet man ein interessantes Video von Arte, die sich mit Malicks Werk bis Tree of Life ganz wunderbar damit auseinandersetzt.


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