Dem Abschied nahe




Nach und nach beginnt sich das Land auszudünnen. Die Backpacker verlassen Neuseeland, die Temperaturen werden kälter, die neugewonnenen Freunde begeben sich auf den Heimweg und die Attraktionen sind immer häufiger geschlossen. In genau vier Wochen heißt es auch für mich Abschied nehmen, die letzten Runden zu drehen und die sonnigen Hügel, kristallklaren Seen und schönen Strände hinter mir zu lassen. Noch gibt es viel zu entdecken, doch bleibt schon jetzt das Resümee, dass ich noch nie so ausgiebig ein Land erkundet habe. Ich konnte so ziemlich jede Hauptstraße der südlichen Insel bereisen, jeder Großstadt einen Besuch abstatten und unzählige Wanderungen begehen, manche gut dokumentiert, manche im stillen Vergnügen. Ein paar Erkenntnisse über andere Kulturen sowie tiefe Einsichten in das eigene Selbst bleiben dabei zurück und werden mich für den Rest meines Lebens begleiten.
So wurde mir klar, das eine Reise um ein vielfaches an Schönheit gewinnt, wenn man sie mit anderen teilt. Seien es neue Menschen oder alte Bekannte, sie alle tragen dazu bei, eine ganz eigene Geschichte zu kreieren. Hier beginnen sich Wege zu kreuzen, wie ein Bachlauf für eine gewisse Zeit gemeinsam zu verschmelzen um später wieder auseinander zu gehen. Und letztendlich münden wir alle im gleichen Ganzen, der Schönheit der Welt. Diese Erfahrung verdampft alle Wehmütigkeit, alle Trauer die einen manchmal im Alltag durchfährt und für unruhige Momente sorgt und der ich hie und da kund getan habe.
Außerdem nehme ich all die vielen Biografien der Leute mit, die mich für ein Stück begleitet haben und die ich mit beeinflussen konnte. Sie alle sind ein kleines Puzzleteil dieses großen Abenteuers, welches ich in den vergangenen 7 Monaten durchlebt habe, sie alle sind die Zirkel der Kiesel, die ich in den See des Schicksals geworfen habe. Dabei waren es vor allem die Geschichten, die sich während des Trampens ergeben haben, die mir wohl am meisten hängen bleiben werden. Goldsucher, Stripperinnen, Professoren, liebende Eltern sowie gedankenverlorene Bauern, Backpacker und Hippies, Einheimische wie Zugewanderte, sie alle haben soviel zu teilen und haben mir gezeigt, wie schön die Welt fernab von jeglichen gesellschaftlichen Erwartungen sein kann. Hier entstehen kleine Dramen, entflammende Romanzen, neue Freundschaften und verborgene Lieben so wie so mancher melancholischer Gedanke. 
Verlust und Glück sind nur eine Autolänge von einander entfernt, wer wird mich wohl diesmal auf der Straße mitnehmen? Welche Welt wird sich mir darlegen? Des Einen Offenbarung ist des Anderen Leid und doch dreht es sich bei allen um das Gleiche: Leben in vollen Zügen. Gleichbedeutend mit Lieben in vollen Zügen. Wir haben nur dieses eine Leben und wir sollten jeden Moment, jede Erfahrung und jeden Menschen, dem wir begegnen, mit voller Herzlichkeit umarmen. Es könnte das letzte Mal sein, dass wir dieser Person begegnen. Vielleicht ist es auch der Beginn einer guten Freundschaft oder einer großen Liebe. 

Durch all die Distanz habe ich gelernt, meinen persönlichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und sie den Menschen, die mich durch mein Leben begleitet haben, zu offenbaren. Überhaupt erst dadurch merke ich, was mir andere Menschen entgegenbringen und wie wundervoll das Gefühl ist, akzeptiert zu werden, ja, geliebt zu werden. 

Diese Gedanken vergegenwärtigen mir, dass es vielleicht in Neuseeland etwas einsamer geworden ist, aber ich bin nicht einsam auf dieser Welt.


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