Über Männlichkeit




Männlichkeit ist ein extrem problematisches Konstrukt. Man begegnet ihm nach wie vor ständig. "Sei keine Pussy", "Da hab sogar ich als Mann mal Pippi in den Augen", "Das machen Jungs halt so","Männer bringen das Geld nach Hause" sind nur ein paar Beispiele aus den letzten 2-3 Tagen, die mir immer wieder über den Weg laufen und ich nur den Kopf schütteln kann.
Natürlich gibt es nicht DIE Männlichkeit, sie ist immer nur das, was wir vorgelebt bekommen, was über andere und uns kommuniziert wird, was sich in uns niederschlägt. Das wird von jedem unterschiedlich interpretiert. Trotzdem gibt es sicherlich einige gemeinsame Nenner. Wenn man über Männlichkeit nachdenkt, hat man wahrscheinlich ein losgelöstes Bild vor Augen, evtl. muskulös, hart, ungestüm, tapfer, vielleicht sogar heroisch und wahrscheinlich nicht sonderlich sensibel oder emotional, auch wenn sich das in letzter Zeit verschoben hat und es weiterhin tut. Wir werden schon früh mit diesen Männlichkeitsbildern konfrontiert, evtl. vom Vater oder Bruder, spätestens aber dann, wenn wir anfangen, unsere Umgebung wahrzunehmen. Werbung, Schauspieler aber auch durch die Erwartungen in Kitas und Schule, etwa wie sich Jungs und Mädels benehmen, welches Verhalten dort akzeptiert wird und welches nicht. Ein früher Abgrenzungsmechanismus, der sich aus Gewohnheit niederschlägt und in dem wir als Individuum unsere Gesellschaft (immer noch) strukturieren und deswegen irgendwann versäumen, diese Gedanken zu überwinden. Klar, es sind erst einmal oberflächliche (und nachvollziehbare) Merkmale für eine Abgrenzung, die uns helfen zu verstehen, wer man selbst ist.

Das Problem ist: diese Differenzierung ist eine oberflächliche und sie ist bei weitem nicht erschöpfend. Sie kultiviert perpetuierend Werte, die für ein gemeinsames, glückliches Miteinander einfach nicht zuträglich sind. So basiert die Vorstellung von Männlichkeit auf Konkurrenz, Dominanz, Ehrgeiz und etwa Prahlen als Buhlen um Anerkennung. Spätestens in der Pubertät entwickeln sich Mechanismen der Abgrenzung innerhalb von männlichen Peergroups, in denen es darum geht, sich auszudifferenzen. Das Spektrum umfasst Alpha-Männchen-Verhalten bis hin zu Ausgrenzung und Mobbing eine riesige Bandbreite und hier etablieren sich Machtstrukturen durch den Drang, sich behaupten zu müssen und zu zeigen, wer der King ist, oder man wird eben zum "Untertan". Dabei sind diese Machtstrukturen nichts anderes als ein Kampf um Anerkennung, um wahrgenommen zu werden, um von anderen akzeptiert zu werden, ein Ringen nach Zuneigung.

Doch da Jugendliche in der Regel diese Aufmerksamkeit nur bedingt bekommen oder es in anderen Mustern ausdrücken, entstehen hier größtenteils Werte, die eine Gemeinschaft eher aushöhlen, die Menschen ausnutzen und degradieren. Das erzeugt Scham, Wut, Zurückgezogenheit, Angst usw. Diese Verhaltensmuster werden erst spielerisch erlernt, etwa in dem man sich gegenseitig blöd macht, miteinander ringt und in den Wettstreit tritt um sich zu behaupten, sich aber später als selbstverständliche Verhaltensmuster ausweiten und in ihren Grundzügen des alltäglichen Handelns wichtige Wertvorstellungen bestimmen. Etwa wie man mit seinen Mitmenschen umgeht, wie man um eine Frau wirbt oder sie behandelt. Diese sind dann zu einem gewissen Zeitpunkt so normal geworden, dass diejenigen, die es Ausüben gar nicht reflektieren können und diejenigen, die von den (negativen) Auswirkungen betroffen sind, sich damit arrangiert haben.

Es gibt natürlich (glücklichweise) Bemühungen, sich dem zu widersetzen. Feminismus, queere Bewegungen, geschlechtssensible Pädagogik usw. leisten viel Arbeit, um sich dem entgegenzustellen und nach und nach tragen diese Bemühungen Früchte. Immer mehr Eltern aber auch Schulen lassen sich auf dieses Thema ein. Aber das alles ist ein hartes und langes mühseliges Ringen gegen veraltete Werte sowie erlernte Mechanismen und neigen manchmal auch dazu, dass diese Bewegungen sich in ihrer Haltung versteifen (was aber wirklich eher ein Randproblem ist, zudem man ebenfalls Texte schreiben könnte). Leider erzeugt etwa Feminismus gleichzeitig das Dilemma, dass es etwa durch die Forderung nach der Auflösung traditioneller Geschlechtsverhältnisse Unsicherheiten bei denen erzeugt, die es nicht anders kennen. Und die Unsicherheiten sind vielfältig: wie spricht man eine Frau, die man interessant findet, an, ohne das es falsch verstanden wird. Wo verlaufen die Grenzen zu dem, was "richtig" ist zu dem, wo man Persönlichkeitsrechte überschreitet? Das klingt banal, aber für junge Menschen, die jahrelang vorgelebt bekommen haben, das Frauen so etwas wie "Freiwild" sind um die geworben werden muss, ist eine Haltung zum gleichberechtigten Aushandeln absolut überfordernd. Diese Unsicherheit wiederum sorgt für Widerstand: durch das fehlen Rollenvorstellungen und Vorbilder, bekannte Verhaltensmuster, die mit der eigenen Wertevorstellung vereinbar sind, also die schon gezeigt haben, wie es gehen kann, entsteht eine Unzufriedenheit und eine (manchmal sehr dumpfe, idiotische) Antihaltung. Natürlich bekommen wir schon viele unterschiedliche Lebensmodelle angeboten, wir haben aber früh angefangen, diese abzulehnen, um uns eben als männlich behaupten zu können.

Dabei wollen eigentlich (fast) alle das Gleiche: sein, wer sie eigentlich sein wollen und ein glückliches Miteinander mit den Menschen, die sie mögen. Und darauf zielt der Feminismus eigentlich ab: auf Emanzipation zum Selbstsein. Nicht (nur) die notwendige Emanzipation der Frau zum Mann, was oft fälschlicherweise vom Entsagen aller Frauen angenommen wird, sondern die Befähigung, sich von tradierten Werten, die man früh erlernt hat, einmal zu distanzieren um selbstständig zu denken und zu handeln, um diese eingeübten Werte kritisch zu überdenken. Unser Bildungssystem scheitert daran, diese emanzipatorischen Freiräume und Lernfelder weitreichend zur Verfügung zu stellen. Auch das könnte man ewig weit ausformulieren und diskutieren, wahrscheinlich hat jede/r Lesende hier eine Vorstellung davon. Aber jeder Mensch sollte sich einfach einmal folgende Frage stellen: Wer will ich sein?
Die Antwort dürfte sehr unterschiedlich ausfallen, aber ich glaube nicht, dass irgendwo einmal das Wort Mann oder Männlichkeit fällt und das sich dies irgendwie in der Selbstbeschreibung eine Rolle spielt. So etwas wird eher von außen zugeschrieben und wir glauben, das machen zu müssen. "Sei doch mal ein Mann" hat bestimmt jeder Junge schon einmal gehört...

Ich für mich kann die Frage gut beantworten:
Ich will lieber guter Freund sein, ein guter Liebhaber, Sohn, Helfer, Ansprechpartner, Teammitglied, Kollege, Fan, fair und ... nun ja: Vorbild.

Was willst du gerne sein?

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