Berlinale 2017

Das war sie also, die Berlinale 2017. Was für ein einzigartiger Rausch an Bildern, Eindrücken, Einblicke in andere Kulturen und so viel Herzlichkeit. Etwas wehmütig schaue ich nun auf das Ende dieses unglaublichen Soges, der mich so sehr vereinnahmt hat. Dabei waren es nicht nur die Filme die mich so ergriffen haben sondern auch die kulinarischen Exkursionen (Udon Udon Udon!!), die Menschen hinter den Filmen sowie all die Personen, mit denen ich mich in diesen zwei Wochen so verbunden gefühlt habe. Ob Unterkunftsmöglichkeit, (neue) Freunde und Freundinnen, Kinogemeinschaften, Partygäste oder Menschen in der Kinowarteschlange, sie alle waren Teil eines Festivals der neuen Perspektiven, die so viel Raum freischaufeln innerhalb eines von Alltagsroutinen zugemüllten Lebens. 

Leitmotiv


Mein diesjähriges Leitmotiv, welches sich aus den 22 gesehenen Filmen aus meiner Wahrnehmung herauskristallisiert, sind für mich die vielfältigen und besonderen zwischenmenschlichen Bindungen zwischen zwei Menschen. Freundschaft, Gemeinschaft, Liebe, dieses Jahr gab es für mich in diesem Bereich so viele starke Beiträge wie nie zuvor. Da wäre Becoming who I was, eine Geschichte über einen buddhistischen Heiligen, der in seiner frühen Kindheit (4-12) von einem Kamerateam begleitet wird auf seinem Weg zu seinem Kloster, um Rinpoche zu werden. Ohne seinen fast 70-jährigen Onkel, der sein eigenes Leben aufgibt um mit ihm Fussball zu spielen, ihn auf die Schule vorzubereiten oder ihm die Welt zu erklären, würde er dabei nicht ankommen. Die dargestellte Herzlichkeit der Beiden war einer der berührendsten Momente der diesjährigen Berlinale, spätestens dann, wenn sie sich auf eine unglaubliche Reise quer durch Indien begeben. (Der folgende Clip hat leider keine Tonspur, bietet aber einen guten Eindruck in die Doku)





Und auch die fiktive aber darum nicht weniger herzliche Geschichte um den Auftragskiller Mr Long, der nach und nach seine Kaltherzigkeit für mehr Zwischenmenschlichkeit für ein kleines Kind und dessen kranke Mutter opfert, schafft es, zutiefst zu rühren. Dabei erzählt er ganz beiläufig noch eine actionbepackte und spannende Geschichte über Miteinander, Integration und irgendwie auch Entrepreneurship. Spätestens wenn die verrückten japanischen Nachbarn anpacken, um Mr. Long nach einem fehlgeleiteten Auftrag aus der Patsche zu helfen, in dem sie ihm einen kleinen Kochstand bauen, ist der ganze Saal am Lachen und fett Schmunzeln vor so viel Miteinander. 








Darüber hinaus gab es auch unglaublich leidenschaftliche Romanzen, die fast gänzlich ohne Drama auskommen. Mein Berlinale-Highlight „Call me by your Name“ etwa erzählt eine durch und durch romantische Coming-of-Age-Liebesgeschichte eines heranwachsenden Jungen, der sich in den Arbeitskollegen seines Vaters verliebt. Der Film, der in den 80ern angesiedelt ist und einen fantastischen Job macht, diese Zeit einzufangen und von der Freizügigkeit zu erzählen, ist von Grund auf so positiv und eine Ode an Hingabe und Leidenschaft. Selten hat man diese verträumte Verliebtheit so gut eingefangen und so mitreissend inszeniert. Der Film hat mich tief bewegt und eines der wohl besten Filmenden präsentiert, das ich bis dato gesehen habe.





Prisma des Zeitgeistes


Aber auch sonst spielte die Berlinale mit starken Freundschaften (My Entire Highschool sinking into the Sea, Weirdos, Butterfly Kisses, Freak Show und viele viele mehr), herzlichen Erwachsenen-Kind Beziehungen (For Akheem, The Inland Road, One Thousand Ropes…) oder seltsamen Schicksalsgemeinschaften (Newton, Almost Heaven) auf und macht bewusst, dass das Leben eben so viel mehr als nur Arbeit und Liebesbeziehung ist. Erst unser soziales Umfeld vermag es, unser Leben mit all seinen Schattierungen und Kolorierungen von den tristen Grautönen des Alltages abzuheben und neuen Sinn zu geben.
Und da ist es nur bezeichnend, dass ich auch diese Berlinale mit vielen tollen Menschen verbracht habe und unendlich viele spannende Konversationen geführt habe. Katalysator dafür waren die vielen Themen, die die Berlinale aufgreift und in den Raum stellt und somit ein Forum für Diskussion und Reflexion ermöglicht. Ich habe so viele spannende Q&A’s besucht oder im Anschluss mit Mitmenschen darüber diskutiert, was wir gerade gesehen haben. Das gemeinsame Grübeln über das Leben, die Bedeutung von Bildung, psychische Erkrankungen, Queerness, Empowerment von Minderheiten, die Erkundung der Psyche und viele viele mehr sind das verbindende Element dieser zehn Tage gewesen. Die Berlinale ist so viel mehr als eine riesige Ansammlung von Filmen, sie stellt ein Prisma dar, welches die auf Film festgehaltenen Einblicke der Filmschaffenden aus aller Welt bricht, um den Zuschauenden in unterschiedlichsten Perspektiven Eindrücke in ihre Lebenswelt zu gewähren, mit denen man vielleicht sonst nie in Berührung käme oder eine Leidenschaft für Themen weckt oder bedient, die man hier in vollen Zügen ausleben kann, verbunden durch einen ganzen Kinosaal ähnlich denkender Menschen.

Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder komme und mir wird erst dieses Jahr bewusst, wie sehr mich dieses Ereignis verändert und bewegt hat. Seit ich 2014 zum ersten Mal dort war und in diese Welt mitgenommen wurde, haben sich meine Perspektiven immer wieder neu verschoben, wurden herausgefordert. Ich habe mein Verhalten mehr und mehr hinterfragt und konnte Eindrücke gewinnen, die mein Handeln und meine Motivation untermauert haben, mich anders handeln lassen oder mich für bestimmtes Verhalten sensibilisiert haben. Dabei stelle ich immer wieder fest, wie sehr ich in meinem eigenen Kulturkreis und Milieu fest verwurzelt bin, durch meine Hautfarbe und Geschlecht privilegiert bin und das mein eigenes Leben auch ganz anders gestaltet werden kann. Ich selbst bin zu einem großen Teil dafür verantwortlich für die Beantwortung der Frage, wie ich dieses ausgestalten möchte. Und mit jeder Berlinale tanke ich neue Kraft, neue Ideen, neue Freundschaften, die mich dazu befähigen, neue Wege einzuschlagen.
Daher schaue ich mit einem Auge wehmütig auf die vergangenen zwei Wochen zurück, gleichzeitig aber auch mit voller Vorfreude und Motivation nach vorn auf das, was auf mich zukommen wird.

Danke, Berlinale! Und danke all den Menschen, die mich in dieser Zeit beherbergt, begleitet und zum Nachdenken angeregt haben, es war mir wie immer ein Vergnügen!

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