Über Optimismus

Man schlägt die Zeitung auf und es trifft einen wie ein Schlag ins Gesicht: Sexuelle Belästigung, Übergriffe auf Flüchtlingsheime, Umweltkatastrophen, Kinderarmut, fliehende Menschen die ertrinken, Donald Trump. Ich könnte ewig so weiter machen. Deprimierend, zum Haare raufen. Man will etwas tun, aber es erschlägt einen geradezu und man hat das Gefühl immer handlungsunfähiger zu werden. Ein Gefühl, dass einen erwischt wie der Biss einer Klapperschlange. Man merkt, wie sich das Gift sich im Körper ausbreitet und einen nach und nach übermannt. Das Gefühl der Ohnmacht hat sicherlich viele Gründe, z.B. scheinen viele Konflikte in großer Distanz zu einem selbst zu passieren, man hat kaum eine Chance, direkt Einfluss nehmen zu können. Und über diese vielen alltäglichen kleinen und großen Katastrophen um uns herum wissen wir nur wenig, da sich der Mantel des Schweigens über ihnen ausbreitet und uns so nicht befähigt, sich mit ihnen so auseinandersetzen zu können, um etwas tun zu können. Außerdem hat man überschaubare Ressourcen die man verwenden kann und will, sei es Zeit, Geld oder die Möglichkeit für Sachspenden und es benötigt schon eine gesunde geistige Balance, um an all diesen Abgründen die uns umgeben nicht zu zerbrechen.

Was diese Ausgangslage natürlich noch begünstigt ist die schiere Informationsflut der neuen Medien, die uns sehr schnell überfordern können und die mit ihrem unbändigen Fluss über uns hereinbrechen. Wenn man sich wirklich "kümmert" und in die weiten Untiefen des world wide web begibt, findet man keine logische Grenze, keine Reissleine die es ermöglicht, all das Leid und Unrecht einfach aufzufangen. Von der abgründigen Diskussionskultur und den unsäglichen Ausschreitungen statt eines gemeinsamen Miteinanders ganz zu schweigen. Und während ich das schreibe, muss ich an mein letztes Kinoerlebnis denken: The Revenant schildert beeindruckend die reale (und fiktiv etwas erweiterte) Geschichte eines Trappers, der in Amerika nach Fellen jagt. Der Film zeigt, wie sich scheinbar die gesamte Natur gegen diesen einen Menschen verschworen hat. Es werden Stürme, Grizzlies, reissende Flüsse und menschliche Abgründe heraufbeschworen und man weidet sich in diesem Moment der Misere und diesem Fünkchen Hoffnung. Solche Robinson Crusoe-esquen Geschichten scheinen derzeit wieder en vouge. Fallout, Die 5. Welle, Lost, The Hunger Games und all die Dystopien und Einsamkeitserzählungen, die derzeit diesen Erfolg in den Kinos oder im TV feiern, kann man getrost dazu zählen. Vielleicht liegt es daran, dass man sich danach sehnt, all diese unkontrollierten, unberechenbaren Variablen auszuschließen und sich lieber mit eisigen Bächen und wilden Tieren oder abgelegenen, autarken Orten auseinanderzusetzen, in denen man sein eigenes Schicksal irgendwie noch in der eigenen Hand zu haben scheint anstatt kollektiv zu verrotten und täglich neue niederschmetternde Nachrichten lesen zu müssen.

Das sind alles Gründe, Szenarien und Haltungen, die gewiss Missmut in uns hervorrufen und unsere beschränkten Optionen vergegenwärtigen. Allerdings würde es sich jeder Mensch zu einfach machen, wenn er oder sie an dieser Stelle aufhört sich mit seiner unmittelbaren und mittelbaren Umwelt auseinanderzusetzen. Denn es lassen sich zu all diesen Herausforderungen auch Strategien und Möglichkeiten finden, um eben doch handeln zu können, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen und sich von der nicht nur oberflächlich betrachteten schlechten Situation abschrecken zu lassen. Dazu bedarf es aber eines gewissen Unternehmergeistes. Dem Gefühl, etwas bewirken zu können. Es benötigt kleine gegenseitige Wertschätzungen, gemeinsame Erfolgsmomente, Zusammenhalt und Kreativität. Einen kollektiven Optimismus.

Gefühlt wird dieser immer mal wieder heraufbeschworen, in letzter Zeit sogar wieder häufiger. Sei es im Film (Der Marsianer, Interstellar, A World Beyond - Tomorrowland, Star Wars - The Force Awakens), in der Politik ("Yes we can", "Wir schaffen das") oder bei den kollektiven Erfahrungen der Ehrenamtlichkeit und der Flüchtlingshilfe, die an vielen Orten ein neues Moment der Gemeinsamkeit offenbart hat. Dennoch gilt man heute schnell als Spinner, Fantast, Naivling oder Idiot wenn man versucht, ein solches Moment ins rollen zu bringen oder sich den unzähligen kritischen Stimmen zu entreissen und seinen eigenen Fahrplan zu entwickeln. Sicherlich gibt es eine gute Berechtigung, Kritik zu üben oder einer Sache erst einmal skeptisch gegenüberzustehen. Denn Kritik ist ein zentrales Moment der Reflexion. Es hilft, Verschwendung vorzubeugen und vermeidet Phantasmen zu bauen die wirkungslos verpuffen oder hart auf die Nase zu fallen. Und sicherlich birgt jede Handlung auch Schattenseiten, was die Silvesternacht in Köln leider im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe allzu schrecklich verdeutlicht hat. Aber die "Ich habs ja gleich gesagt" Mentalität oder die "Das wird doch eh nichts" Haltung ist a) falsch und b) fatal, wenn sie so zügellos wüten können wie es mittlerweile der Fall ist. Sie erstickt fast jede konstruktive Weiterentwicklung, sorgt für eine beinahe atomare Spaltung jeglicher Haltung und führt in eine isolierte, verlorene Situation eines Individuums gegen die Welt, aus der man sich nur schwer erheben kann, um überhaupt noch handlungsfähig zu sein. Darunter leidet auch das kreative Ausprobieren, sie versagt die Chance, Fehler zu machen, obgleich jeder Fehler immer auch ein konstruktives Potenzial in sich birgt, welches uns überhaupt erst erlaubt zu lernen. Sicher, Einstein hat mal gesagt, dass man lieber aus den Fehlern anderer lernen sollte als aus den eigenen. Aber irgend jemand muss diese Fehler machen und das sind für mich die wahren Pioniere unserer Gesellschaft. Ich hätte nie gedacht, dass ich eine Frau Merkel mal so viel Anerkennung und Respekt zollen würde, aber in einer Zeit des weitverbreiteten Pessimismus geht sie stur dagegen an (aus welchen Gründen auch immer). Und diese Haltung sollte man tatsächlich wieder  ein wenig kultivieren. Man sollte zu Machenden werden, zu Schaffenden. Zu Menschen, die immerhin versuchen, ihre unmittelbare Umgebung positiv zu beeinflussen. Das geht damit los, dass man andere Leute zu Ideen animiert, sie dabei unterstützt. Oft sind es kleine Gesten, die große Dinge anstoßen. Ein paar Euro die helfen, Leben zu retten oder eine Idee zu verfolgen. Ein paar stützende Gedanken die helfen, sich durchzusetzen. Ein paar Hände, die ganze Welten bauen. Es müssen nicht immer finanzielle Ressourcen sein. Gemeinsam über etwas nachzudenken, sich vernetzen, die Schulter anbieten wenn andere einen Moment der Schwäche erfahren usw. sind Dinge, die uns nichts kosten aber für andere die Welt bedeuten. Wir brauchen mehr Zusammenhalt, ein Verständnis eines Miteinanders statt eines Gegeneinanders, wir müssen der Versuchung des Rückzugs aus allem, was wir nicht kontrollieren können, widerstehen und uns darauf besinnen, dass unsere Mitmenschen sich ähnlich verloren fühlen. Und das fängt mit jedem Einzelnen von uns an.



Ich halte es übrigens nicht für einen Zufall, dass viele Filme über Optimismus gerade Science Fiction Filme sind. Interstellar, Der Marsianer usw. repräsentieren eine neue Form der Zuversicht in die Wissenschaft und Menschheit. In kaum einem anderen Metier gibt es dabei größeren transnationalen Zusammenhalt als in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Hier arbeiten unterschiedlichste Nationen an den Bemühungen, das Weltall zu erforschen. Es ist ein gemeinsames Ziel, eine riesige Herausforderung, die vereint. Und es ist kein Wunder das Leute, die sich mit dem Weltall auseinandersetzen und das erste Mal die Welt aus dem Orbit heraus betrachten auf einmal ein Gefühl der Gemeinsamkeit entwickeln, weil ihnen bewusst wird, dass sie alle gar nicht so verschieden sind, wie es aus nächster Nähe scheint. Dieser Grad der Perspektivverschiebung auf uns selbst ist eine Herausforderung: ist man zu nah, scheint die Welt ausschließlich aus Unterschieden zu bestehen, zoomt man zu weit heraus, wird alles eins, einheitlich, beinahe unwichtig. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Kameralinse stellenweise zu nahe an uns klebt, die Folgen sind shit-storms, Wortklauberei und endlose Debatten.


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