Man soll gehen, wenn es am schönsten ist...




Da ist er nun. Der Moment des Abschieds. Freunde, Familie, Bekannte, Arbeitskollegen, Leute aus Büros von Nebenan, Nachbarn, komische Nachbarn, Herr Jacobi aus dem Edeka, das hübsche Mädel aus der Mensa, sie alle sind dieser Tage auf einmal im Brennpunkt meiner Wahrnehmung. "Werde ich diese Person jemals wiedersehen?" schießt es mir ständig durch den Kopf und "Zack", schicke ich jedem trotzdem noch ein obligatorisches "Bis bald" hinterher. Aber was solls, manchen Menschen bin ich gefühlte tausend Mal über den Weg gelaufen seit der letzten Verabschiedung, die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass sich das gesamte Ritual noch ein paar Mal wiederholen wird.
Und warum auch nicht, verdammt. Es tut gut, Leuten zu begegnen und davon auszugehen, dass man sich vielleicht nie wieder sieht. Das sind die aufrichtigsten, die intensivsten Momente. Ich lasse bei jeder einzelnen Person Revue passieren, was wir alles gemeinsam erlebt haben und stelle fest, wie reich ich doch eigentlich bin: ich trage einen unfassbar großen Schatz an schönen Erinnerungen mit mir herum und dieser wiegt nichts, niemand kann ihn mir nehmen und ich brauche keine Taschenlampe, um sie mir auch im dunkeln einmal anzusehen. Und diese herzlichen Umarmungen, mit denen ich in letzter Zeit überschüttet wurde schiebe ich alle in das Regal hinten rechts, um sie in den kalten Nächten herauszuholen, wenn ich sie neben einer warmen Jacke wieder einmal brauche. Sie halten die Zeit an und sind die magische Zauberkraft, die mich durch die Welt treibt.

Doch so langsam schleicht es sich ein, dieses Gefühl der Wehmütigkeit. War ich bis jetzt noch bis zum Hals in Gedanken der Vorfreude und Aufregung eingedeckt, begreife ich jetzt den drohenden Abschluss eines Zeitraums, der alles überflügelt hat, was ich bisher erleben durfte. So viele Menschen tragen ihre Abschiedsgedanken an mich heran und ich merke, welch schöne Momente ich zurück lasse und welch fantastische Bedeutungsgewebe ich in den vergangenen Jahren um mich herum gesponnen habe Und diese hielten mich bis jetzt gemütlich warm und gaben mir die Kraft, trotz Wehmut nach vorne zu blicken und einen neuen Weg zu beschreiten. Nun gilt es, die alte Hülle abzustreifen und zu schauen, wer man geworden ist und wie die Welt da draußen noch ist. Man fühlt sich ein bisschen wie diese Menschen aus den alten Krimis oder Thrillerfilmen, die nach einer Gesichtsoperation endlich ihre Bandage abnehmen und voller Neugier angespannt in den Spiegel starren, um dann große Augen zu machen und vor Schreck wegzurennen. Ok, den letzten Teil spare ich mir lieber. Bisher jedoch blieb mir die Chance verwehrt, einmal so lange allein weg zu sein und wirklich jede persönliche Verbindung zu kappen. "Warum soll man denn so etwas tolles hinter sich lassen?" höre ich jetzt in den hinteren Regionen meines Kopfes. Die Frage kann ich mir aber sehr einfach selbst beantworten: wann immer ich Erfahrungen von wichtigen Bindungsabbrüchen gemacht habe, habe ich im Nachhinein auch eine Stärkung dieser erfahren. Das Willkommenheißen und das herzliche Umarmen eines Rückkehrers ist gefühlt tausend Mal herzlicher als das eines Abschiednehmers.


               "Das Bekannte überhaupt ist darum,
                                    weil es bekannt ist, nicht erkannt." G. W. F. Hegel

Kommentare

  1. Ich weiß, was du meinst. Momentan herrscht bei mir auch eine leichte Aufbruchsstimmung, denn (vielleicht) wird sich bald einiges ändern. Wobei es bei mir nur in Planung ist und bei dir offensichtlich schon beschlossene Sache.
    Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem nächsten Schritt. :-)

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